Mittwoch, 6. Februar 2013

Offener Brief zur katastrophalen Versorgungslage von Borreliose-Patienten


Der Verein Onlyme-Aktion.org verfasste einen offenen Brief an unseren Gesundheitsminister. Inzwischen haben über 800 Menschen diesen Brief unterzeichnet. Darunter auch viele Ärzte !!!

Falls auch Sie Ihren Namen unter diesen offenen Brief setzen möchten, schreiben Sie bitte eine kurze Mail (die Namen reichen) mit dem Betreff “Offener Brief” an:kontakt@OnLyme-Aktion.orgBitte denken Sie dabei auch an Ihre Freunde, Nachbarn und Verwandte – auch an jene ohne Internet. Es reicht das Einverständnis, dass die Namen unter dem Brief erscheinen dürfen! Vielen Dank für Ihre Unterstützung!




An das
Bundesministerium für Gesundheit
Bundesminister für Gesundheit
Daniel Bahr MdB

Friedrichstraße 108
10117 Berlin


Januar 2013

Offener Brief zur katastrophalen Versorgungslage von Borreliose-Patienten

Sehr geehrter Herr Minister Bahr,

es gibt viele Themen, um die sich das Bundesgesundheitsministerium kümmert; ein wichtiges Thema sollte unseres Erachtens nach dringend die notwendige Beachtung erhalten: Lyme-Borreliose.

In Deutschland ist bereits jeder 14. Jugendliche mit Borrelien, den bakteriellen Erregern der Lyme-Borreliose infiziert. Jedes Jahr erkranken je nach Datenlage zwischen 214.000 und über 800.000 Menschen neu an der komplexen Multi-Organ-Krankheit Borreliose. Von diesen Neu-Infizierten gelangt die Hälfte der Patienten bei der üblichen, häufig ungenügenden Behandlung in ein chronisches Stadium mit jahrelangem Leiden (1). Wir sprechen über mindestens eine Million Borreliose-Patienten in Deutschland (2). Durch ihren tendenziell chronischen Verlauf ist diese Infektionskrankheit unter gesundheitspolitischen, sozialpolitischen, wirtschaftspolitischen und medizinischen Aspekten nicht länger zu vernachlässigen; zumal die Zahl der Erkrankten seit Jahren steigt und damit auch volkswirtschaftlich eine immense Belastung darstellt (2). Gleichzeitig ist die medizinische Versorgung dieser Patienten katastrophal. Nur wenige Ärzte befassen sich intensiv mit dem komplexen Krankheitsbild, es fehlt an spezialisierten Ärzten und entsprechender infektiologischer Aus- und Fortbildung.

1981 wurde der Erreger entdeckt, doch wo stehen wir heute bei dieser Infektionskrankheit? Die Antwort ist schockierend: Hundertausenden Borreliose-Patienten in Deutschland wird die notwendige medizinische Versorgung verweigert. Mehr als 30 Jahre nach der Entdeckung des Krankheitserregers gibt es noch keine schützende Impfung, keine standardisierte, zuverlässige Diagnostik und keine sicher heilende Therapie. Obwohl sehr viele Menschen in Deutschland betroffen sind, werden keine Forschungsmittel bereitgestellt, um endlich Therapie-Langzeitstudien aufzusetzen. Anlässlich eines Experten-Treffens am Robert Koch Institut 2008 lautete das Fazit: „Nach Expertenmeinung wird die zurzeit laufende immunologische Grundlagenforschung zur Lyme-Borreliose in Deutschland der Problematik dieser in Europa und den USA weit verbreiteten Infektionskrankheit in keiner Weise gerecht.“ Nicht nur das: Noch vor Jahren wurden MS- und HIV/AIDS-Patienten diskriminiert, gleiches geschieht mit Borreliose-Patienten aktuell Tag für Tag.

Die meisten Ärzte lernen, dass die komplexe Multiorganerkrankung, deren auslösendes Spirochäten-Bakterium mit dem Syphilis-Erreger verwandt ist, binnen weniger Wochen mit Antibiotika zu heilen ist. Leider gibt es bereits im Frühstadium Therapieversager und die in Lehrbüchern propagierten, aus den USA übernommenen Therapie-Empfehlungen funktionieren nur bei einem relativ geringen Teil der Patienten in der Frühphase der Infektion. Die Realität ist, dass Borreliose oft erst in der Spätphase diagnostiziert wird. Die sogenannte Wanderröte, die angeblich nahezu jeder Borreliose-Patient entwickelt, tritt in Europa nur bei etwa 50 % der Erkrankten auf (2). Die ersten Symptome können Tage, Wochen, Monate, sogar Jahre nach dem Zeckenstich auftreten – es gibt keine feste Inkubationszeit bei der Borreliose! Viele Patienten irren zunächst jahrelang durch die Arztpraxen aller möglichen Fachrichtungen, bis man die infektiöse Ursache ihres Leidens erkennt. Ein weiterer Grund für die viel zu späte Diagnose sind die serologischen Tests, die auch 30 Jahre nach Entdeckung des Erregers immer noch nicht standardisiert und unzuverlässig sind (3) sowie die häufig ausbleibende Antikörperbildung, auf der z. Zt. der serologische Nachweis beruht.

Gleichzeitig gibt es in Deutschland für Ärzte keine ausreichenden Grundlagen für die Diagnostik und Therapie einer Lyme-Borreliose im Sinne einer qualitativ hochwertigen S3-Leitlinie, die alle Manifestationen dieser Erkrankung umfasst. Medizinische Fachgesellschaften stützen sich – mangels adäquater, europäischer Studien – auf US-Studien und auf die Empfehlungen der US-amerikanischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten, IDSA. Aufgrund des unterschiedlichen Erregerspektrums sind Ergebnisse von klinischen Studien aus Nordamerika nicht ohne weiteres auf die Situation in Europa anwendbar, dennoch beruhen die Empfehlungen in Deutschland weitestgehend auf den US-Leitlinien der IDSA.

Seit vielen Jahren gibt es eine medizinische Kontroverse insbesondere um die Behandlung der Borreliose im fortgeschrittenen Stadium. Ein Streit, der vorrangig durch fehlende Langzeitstudien und mangelnde europäische Forschungsergebnisse befeuert und leider auf dem Rücken der Patienten ausgetragen wird. Viele Ärzte behandeln Borreliose-Patienten höchstens 21 Tage antibiotisch – auch wenn sie bereits am fortgeschrittenen Stadium einer Borreliose leiden. Warum? Weil es bei der Kontroverse zwei „Meinungslager“ gibt.

Lager A glaubt, dass die nach der Therapie weiter bestehenden Symptome auto-immun verursacht seien. Die Patienten erhalten nach 21 Tagen meist Antidepressiva und Schmerzmittel und werden nur noch symptomatisch behandelt, mit entsprechend geringer Wirkung. Der Haken an der Sache: Für diese „Auto-Immun-Hypothese“ gibt es bis heute keinen Nachweis!

Lager B nimmt an, dass die persistierenden Symptome dieser Patienten durch eine noch nicht ausgeheilte Borreliose verursacht werden. Sie lassen den Patienten die Wahl, auch im Sinne der in Deutschland geförderten, partizipativen Entscheidungsfindung (3), eine erneute oder verlängerte antibiotische Behandlung zu versuchen. Diese Ärzte machen die Therapiedauer von der individuellen Vorgeschichte (u. a. Immunstatus, Vorerkrankungen, Co-Infektionen) und dem Ansprechen des Patienten auf die Therapie abhängig.

Bei der Borreliose im fortgeschrittenen Stadium verliert sich der Grund, warum die Patienten nach der Standardtherapie immer noch leiden, im Nebel nicht-bewiesener Hypothesen. Für eine persistierende Infektion sprechen inzwischen allerdings neue Forschungsergebnisse (4). Hunderttausende kranke Menschen in Deutschland können nicht warten, bis irgendwann einmal klinische Langzeit-Studien in Deutschland bzw. Europa begonnen werden, damit sie adäquat therapiert werden. Sie können auch nicht warten, bis endlich alle Ergebnisse aus der Grundlagenforschung zusammengetragen werden (u. a. Borrelia burgdorferi = Biofilm-Infektion) und auch nicht darauf, dass man sich daran erinnert, dass Erreger mit langer Teilungszeit auch entsprechend länger therapiert werden müssen. Borreliose-Patienten brauchen endlich die Wahl bei den Behandlungsoptionen und damit auch die Möglichkeit für eine Langzeittherapie und sie brauchen diese Wahl sofort!

Wenn es unterschiedliche Auffassungen über die Behandlung gibt, ist die entscheidende Frage: Wer entscheidet über die angemessene Behandlung? Unter medizin-ethischen Prinzipien der Autonomie muss die Entscheidung beim Patienten liegen. Bei anderen Krankheiten, wie beispielsweise dem Prostatakarzinom, entscheidet ebenfalls der Patient, nachdem er von seinem Arzt über die unterschiedlichen Optionen informiert wurde. Respekt vor der grundlegenden Autonomie des Patienten ist ein fundamentales Prinzip medizinischer Ethik. Ohne angemessene Information über Behandlungsoptionen, Risiken und Chancen kann der Patient nicht autonom entscheiden. Borreliose-Patienten jedoch lässt man nicht entscheiden! In Studien (5) konnte gezeigt werden, dass Borreliose-Patienten im Spätstadium von verlängerten oder erneuten antibiotischen Therapien profitieren. Ihnen diese Behandlungsoption zu verwehren, die bei anderen Infektionserkrankungen (z. B. TBC) Routine ist, verstößt gegen die Menschenwürde, ist unterlassene Hilfeleistung und bedeutet, dass Hunderttausende Borreliose-Patienten in Deutschland unfreiwillig an einem medizinischen Großversuch teilnehmen.

Das alles wäre bei einer Bagatellerkrankung vielleicht nicht alarmierend, aber bei einer ernstzunehmenden Multisystem-Infektion, die jedes Organ befallen kann, die unzählige Menschen jedes Jahr in die Frühverrentung treibt, die Kindern den Schulbesuch unmöglich macht und Studenten das Studium abbrechen lässt, ist diese medizinische Praxis und die ministerielle und behördliche Nichtbeachtung eine menschliche und volkswirtschaftliche Katastrophe. Vergessen wir nicht, jeder kann der Nächste sein. Der beste Freund, die Partnerin, der Vater, die Mutter, der Nachbar, das eigene Kind. Wir stehen in der Pflicht, für all diese Menschen, für alle künftigen Borreliose-Patienten diese furchtbare Situation zu ändern und das Leiden zu reduzieren.

Im Namen des Aktionsbündnisses gegen zeckenübertragene Infektionen Deutschland e. V. (OnLyme-Aktion.org) und im Namen aller Betroffenen in Deutschland fordern wir:

Der Patient soll, wie es medizin-ethisch geboten ist, nach Aufklärung und Information über die Chancen und Risiken die Wahl haben, nach welchen Leitlinien und wie er weiter therapiert wird. Es kann nicht sein, dass gesetzlich versicherte Akne-Patienten monatelang Antibiotika erhalten, während sie den Patienten mit einer schweren Infektionskrankheit nach 21 Tagen vorenthalten werden, obwohl keine Ausheilung der Infektion nachgewiesen werden kann. Dadurch wird unendliches Leid über diese Menschen gebracht.
Lyme-Borreliose muss als „public health“-relevante Zoonose in Deutschland Bestandteil der nationalen „Roadmap“ werden.
Am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung müssen Borreliose-Forschungsprojekte und Langzeittherapie-Studien implementiert werden, damit man neue Behandlungsformen entwickeln kann.
Entsprechende Forschungsverbünde sollten bei der Nationalen Zoonosen-Plattform gebildet werden.
Das Robert Koch-Institut sollte mit der epidemiologischen Forschung zur Inzidenz und Prävalenz von Co-Erregern beginnen, die durch Zeckenstiche übertragen werden und eine Borreliose-Erkrankung verschlimmern (z. B. Anaplasmen, Babesien, Bartonellen, Rickettsien etc.).
Borreliosefälle sollten bundesweit als Praxisbesonderheit gemeldet werden, damit niedergelassene Ärzte nicht um ihre Existenz fürchten müssen, wenn sie Borreliose-Patienten behandeln.
Borreliose-Diagnosen sollten grundsätzlich mit dem Grad der Behinderung (GdB) in die Versorgungsmedizin-Verordnung aufgenommen werden.
Eine bundesweite Meldepflicht mit Meldung aller Krankheitsmanifestationen dieser Multi-System-Erkrankung muss umgehend eingeführt werden, um Daten über die Verbreitung und Krankheitshäufigkeit zu erhalten.
Die breite Bevölkerung muss über das Gefahrenpotenzial einer Borrelien-Infektion realitätsnah informiert werden. Es kann nicht sein, dass Informationen und Medienberichte sich einseitig und bagatellisierend auf die relativ unkomplizierte Frühphase konzentrieren. Gut gemeinter Rat, die Zecke vorsichtig und schnell zu entfernen, um eine Borreliose-Infektion zu verhindern, entbehrt häufig der Realität, weil die Betroffenen gar keine Zecke an sich bemerken.
Auch wenn die Lyme-Borreliose in erster Linie eine klinische Diagnose ist, müssen die serologischen Tests standardisiert und qualitativ optimiert werden, gleichzeitig sollte ab sofort auf das zweistufige serologische Vorgehen eines Screenings der Borrelien-Antikörper mittels Enzymimmunoassay (ELISA) mit nachfolgendem Immunoblot verzichtet werden, zugunsten eines alleinigen Einsatzes des Immunoblots, da dieser – bei vorhandener, klinischer Symptomatik – die Immunreaktion nach Übertragung der Borrelien wesentlich sensitiver als der ELISA herausfinden kann. Dennoch sind der Immunblot und insbesondere der ELISA nicht imstande, die ausgeprägte Antigen-Variabilität der Borrelien zu dokumentieren, was häufig zu falsch-negativen Testergebnissen führt. Deshalb müssen verbesserte Testsysteme entwickelt werden, um eine rechtzeitige Diagnosestellung im Frühstadium mittels der Antikörper-Detektion zu erreichen und die Therapieerfolge entsprechend zu verbessern.
Es müssen Grundlagen für die geplante S3-Leitlinie zur Borreliose geschaffen werden. Ohne neue (europäische) Forschungserkenntnisse und Studien wird das kaum zu erreichen sein. Dabei sollten die Anregungen und identifizierten Forschungslücken der Experten (RKI 2008) aufgegriffen werden.
Wir wählen in diesem Jahr den neuen Bundestag. Betroffene und Ihre Angehörigen und Freunde erwarten, dass sich Politiker dieses viel zu lange vernachlässigten, gesundheitspolitischen Themas annehmen werden. Von Ihnen als Gesundheitsminister erwarten wir, sich für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung einzusetzen und dafür zu sorgen, dass Patienten in Deutschland nicht unfreiwillig an einem unethischen, medizinischen Großversuch teilnehmen müssen.

In der Hoffnung auf Ihre Unterstützung,

mit freundlichen Grüßen

Das Aktionsbündnis gegen zeckenübertragene Infektionen Deutschland e. V. (OnLyme-Aktion.org)


1 Kommentar:

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